In Österreich wurde wieder einmal Geschichte geschrieben, und wie so oft verheißt das wenig Gutes. Es geht um hochrangige Politiker und einen Glücksspielkonzern, um den Verdacht auf verdeckte Parteispenden und um den Vorwurf der Bestechlichkeit. Mittendrin: Gernot Blümel, der amtierende Finanzminister. Es geht aber auch um die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), die Antikorruptionsbehörde, die 2011 geschaffen wurde, um solche Verdachtsfälle fernab von politischem Druck aufzuklären, und die seit Monaten davon berichtet, wie sie "von oben" unter Druck gesetzt und behindert werde.

Es geht um die ÖVP, die eine Regierungspartei, die diese Antikorruptionsbehörde jetzt offen attackiert, und um die Grünen, die andere Regierungspartei, die der ÖVP ein "selektives Verhältnis zum Rechtsstaat" vorwirft.

Es geht also um die bisher schwerste Koalitionskrise. Und um Fragen, die bis an die demokratischen Grundpfeiler reichen: Wie unabhängig kann die österreichische Justiz arbeiten, wenn die Mächtigen im Fokus von Ermittlungen stehen? Und wie ernst ist es der Republik überhaupt mit dem Kampf gegen Korruption?

Die Causa Ibiza ist längst mehr als die schmierige Geschichte um eine Videofalle in einer Finca, die zur Staatsaffäre wurde. Es gibt mittlerweile zahlreiche Nebenfronten und -stränge. Manche davon führen direkt in das Zentrum der ÖVP – und damit bis an die Spitze der Regierung. Bei Gernot Blümel, der rechten Hand von Bundeskanzler Sebastian Kurz, schaute vergangene Woche die Polizei vorbei. Eine Hausdurchsuchung bei einem amtierenden Finanzminister, der als Beschuldigter in einem Korruptionsverfahren geführt wird? Das hat es in der zweiten Republik noch nie gegeben.

Mitte 2017, so lautet der Verdacht der WKStA, soll Gernot Blümel, damals Chef der ÖVP Wien und nicht amtsführender Stadtrat, für den Glücksspielkonzern Novomatic in den eigenen Reihen interveniert haben, um dem Unternehmen bei Steuerproblemen in Italien zu helfen. In diesem Zusammenhang steht eine Gegenleistung in Form einer "Spende" der Novomatic an die Volkspartei im Raum. Dass es diese Spende tatsächlich gab, ist durch nichts belegt.

Eines der zentralen Beweismittel der WKStA ist eine SMS, die der damalige Novomatic-CEO Harald Neumann am Morgen des 12. Juli 2017 an Gernot Blümel schickte: "Guten Morgen, hätte eine Bitte: bräuchte einen kurzen Termin bei Kurz (erstens wegen Spende) und zweitens bezüglich einen Problemes (sic) das wir in Italien haben!"

Gegen Neumann besteht der Verdacht der Bestechung, Blümel wird in der Rolle des Beitragstäters vermutet. Novomatic hat in der Vergangenheit bereits wiederholt bestritten, jemals an Parteien Geld gespendet zu haben. Auch Gernot Blümel wies mehrmals alle gegen ihn erhobenen Vorwürfe zurück. In einer eidesstattlichen Erklärung, die er bei einer Pressekonferenz am vergangenen Freitag verteilte, betonte er, dass von der Novomatic in seiner Zeit weder Spendengelder an die ÖVP Wien noch an die Bundespartei oder an parteinahe Vereine geflossen seien. Jeder, der anderes behaupte, werde von ihm geklagt.

Die Opposition fordert, wenig überraschend, geschlossen den Rücktritt des Finanzministers. Und Sigi Maurer, Klubobfrau des grünen Koalitionspartners, richtete der ÖVP zwar einige Unfreundlichkeiten aus, sah aber keinen Grund für weitere Schritte. Ein Misstrauensantrag im Parlament scheiterte demnach am Dienstag.

Einen Tag bevor die Hausdurchsuchung bei Gernot Blümel bekannt geworden war, hatte in Wien der parlamentarische Untersuchungsausschuss getagt und Christina Jilek in den Zeugenstand berufen. Jilek, 40 Jahre alt, führte bis vor Kurzem als Staatsanwältin in der WKStA das Ibiza-Verfahren. Doch Ende 2020 schmiss sie ihren Job hin. Sie habe das schweren Herzens getan, sagte sie in ihrem Eröffnungsstatement, aber es gebe zu viele "Störfeuer". Sie sei nicht bereit gewesen, ein "Feigenblatt-Verfahren" zu führen.

Im Untersuchungsausschuss schilderte sie, wie sie durch nicht nachvollziehbare Weisungen und umfassende Berichtspflichten an die Oberstaatsanwaltschaft Wien, die zuständige Fachaufsicht, von ihrer eigentlichen Arbeit abgehalten wurde, nämlich dem Ermitteln. Seit Beginn des Ibiza-Verfahrens musste die WKStA mehr als 180 Berichte schreiben. Jilek zeichnete einen Zustand der ständigen Druckausübung während der Ermittlungsarbeit, die vor allem von ihrem Vorgesetzten, Oberstaatsanwalt Johann Fuchs, ausgegangen sei. Fuchs selbst hat all diese Vorwürfe zurückgewiesen. Die grüne Justizministerin Alma Zadic wurde bereits im Mai 2020 von der WKStA informiert und um Hilfe gebeten.