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Online-Casinos werden legal Kampf um die Glücksspiel-Milliarden

Glücksspielanbieter aus aller Welt setzen im Internet Jahr für Jahr Milliardensummen um. Jetzt dürfte der Wettbewerb noch einmal Fahrt aufnehmen - das Geschäft wird bundesweit legal.
Glücksspiel am Computer: In Deutschland wird es künftig noch mehr Angebote geben

Glücksspiel am Computer: In Deutschland wird es künftig noch mehr Angebote geben

Foto: MIKE CLARKE/ AFP

Für das Glücksspielgeschäft in Deutschland ist heute ein historischer Tag: Ein mühsam ausgehandelter Staatsvertrag tritt in Kraft, nach dem der Betrieb von Online-Casinos bundesweit künftig legal ist.

Online-Casinos in Deutschland? Gibt es doch längst, dürften viele denken. Gerade in den vergangenen Monaten wurden Fernsehzuschauer geradezu bombardiert mit Spots von Anbietern wie Wunderino, Mr. Green oder Hyperino ("Dein Casino ohne Schnickschnack", wie Techno-Star H.P. Baxxter in der Werbung gewohnt lauthals verkündet). Diese Unternehmen, die in ihre virtuellen Spielsäle locken, verfügen allerdings offiziell lediglich über eine Zulassung in Schleswig-Holstein, das seit 2012 einen Sonderweg beschreitet. Daneben gibt es Anbieter wie Tipico mit Sitz auf Malta oder den in London börsennotierten Entain-Konzern mit Marken wie Bwin, die aus dem Ausland auch deutsche Spieler ansprechen. Solche Anbieter betreiben ihr Geschäft hierzulande bislang bestenfalls halblegal.

100 Milliarden Euro Umsatz in Europa, Deutschland zweitwichtigster Markt

Dennoch läuft für diese Firmen das Geschäft bereits seit Langem auf Hochtouren: Mehr als 11 Prozent der Umsätze, die europaweit mit Online-Glücksspielangeboten erzielt werden, entstanden zuletzt in Deutschland, so die European Gaming & Betting Association (EGBA). 2019 waren das dem Branchenverband zufolge immerhin 2,7 Milliarden Euro - Tendenz steigend. Branchenkenner gehen davon aus, dass das Marktvolumen tatsächlich noch größer sein könnte, denn viele zum Teil illegale Spielangebote dürften in derartigen Statistiken kaum erfasst werden. Deutschland ist damit nach Großbritannien (30 Prozent Marktanteil) in Europa der zweitwichtigste Online-Markt für die Branche.

Zum Vergleich: Insgesamt beziffert die EGBA das Umsatzvolumen des Glücksspiels auf dem Kontinent für das Jahr 2019 auf beinahe 100 Milliarden Euro. 24,5 Milliarden Euro davon wurden online umgesetzt, der Rest im sogenannten terrestrischen Geschäft, also beispielsweise an Automaten in Spielhallen und Gaststätten. Der deutsche Glücksspielmarkt - ohne die teils fragwürdigen Online-Angebote - hatte einem Bericht der Glücksspielaufsichtsbehörden der Länder zufolge 2019 ein Gesamtvolumen von rund elf Milliarden Euro.

Spielhallenlegende: Paul Gauselmann gründete 1957 die Gauselmann-Gruppe, heute Marktführer im Spielhallengeschäft

Spielhallenlegende: Paul Gauselmann gründete 1957 die Gauselmann-Gruppe, heute Marktführer im Spielhallengeschäft

Foto: Friso Gentsch / picture alliance/dpa

Kurzum: Es ist längst ein Milliardenkuchen, den es zu verteilen gilt, auch online. Und nach der Legalisierung wollen sich davon künftig noch mehr Firmen ein Stück abschneiden. Bekannte Unternehmen wie die Unternehmensgruppe Gauselmann ("Merkur"-Spielhallen) mit Hauptsitz im nordrhein-westfälischen Espelkamp oder die Löwen-Gruppe aus Bingen in Rheinland-Pfalz, die beide seit Jahrzehnten zu den Big Playern im Glücksspielgeschäft in Spielhallen hierzulande gehören und Spiele und Automaten zum Teil auch selbst entwickeln und herstellen, wollen eigenen Angaben zufolge künftig auch online mitmischen.

Der Kampf um die Online-Milliarden gewinnt also an Schärfe. Und die Glücksspielgrößen, die im stationären Geschäft zum Teil bereits seit Jahrzehnten etabliert sind und Umsätze im hohen Millionenbereich erzielen, müssen im Internet wieder klein anfangen und versuchen, sich Marktanteile von den dort etablierten Playern zu erkämpfen. 2,575 Milliarden Euro betrug beispielsweise der Jahresumsatz der 1957 von Paul Gauselmann gegründeten Gauselmann-Gruppe (unter anderem rund 800 Spielhallen im In- und Ausland) immerhin im Jahr 2019. Im Corona-Jahr 2020 ging der Wert deutlich auf 1,83 Milliarden Euro zurück. Die Löwen-Gruppe (bundesweit etwa 540 Spielhallen) gibt für 2019 einen Gesamtumsatz von 605 Millionen Euro an, der 2020 ebenfalls auf knapp 470 Millionen Euro stark einbrach.

Die Firmen sehen die virtuelle Welt als einen weiteren Vertriebsweg für ihr ohnehin existierendes Angebot. Mit zusätzlichem Marktwachstum für das Online-Geschäft durch den neuen Staatsvertrag rechnet allerdings kaum jemand. "Ich gehe nicht davon aus, dass es ab dem 1. Juli zu einem besonderen Wachstumsschub im Online-Bereich kommen wird", sagt etwa Daniel Henzgen, Mitglied der Geschäftsleitung bei Löwen Entertainment. "Online-Angebote für Spieler gibt es in Deutschland de facto seit etwa zehn Jahren. Jetzt kommen lediglich neue Anbieter hinzu - und es wird künftig eine klarere Trennung zwischen legalen und nicht-legalen Angeboten geben."

Ähnlich sieht es Georg Stecker, Sprecher des Vorstandes des Verbandes Die Deutsche Automatenwirtschaft. "Menschen haben unterschiedliche Interessen und Motive", sagt er. "Viele gehen in die Spielhalle, weil sie dort die Atmosphäre und den sozialen Kontakt schätzen. Andere sind lieber allein, wenn sie spielen, und nutzen daher Online-Angebote."

Ob es allerdings - wie von den Machern des Staatsvertrages erhofft - gelingen wird, die Vielzahl der bereits bestehenden illegalen Glücksspielangebote, die großteils aus dem Ausland kommen, durch die Legalisierung zurückzudrängen, erscheint fraglich. Denn Unternehmen wie die Löwen-Gruppe, die mit ihrer Tochter Novo Interactive im Internet aktiv werden will, oder die Gauselmann-Gruppe mit ihrer Online-Tochter edict egaming müssen sich laut Staatsvertrag künftig an Regeln halten, die sie eigenen Angaben zufolge gegenüber der nicht regulierten Konkurrenz in Nachteil bringen.

Ein Beispiel: In staatlich zugelassenen Online-Casinos wird künftig ein Höchsteinsatz von 1000 Euro monatlich gelten. Wer mehr Geld aufs Spiel setzen möchte, muss sich gedulden, bis der Monat abgelaufen ist - oder zur illegalen Konkurrenz wechseln. "Vor allem Vielspieler - sogenannte High-Roller - werden sich dadurch abschrecken lassen", sagt Löwen-Manager Henzgen. "Sie werden auch künftig illegale Angebote, die sich nicht an derartige Einschränkungen halten, attraktiver finden."

Zudem stößt sich die Branche an der Besteuerungsregel, die ihr mit dem neuen Staatsvertrag auferlegt wird, und die sich von Vorgaben in vielen anderen Ländern unterscheidet. Denn während der Fiskus beim Online-Glücksspiel im Ausland in der Regel auf den Bruttospielertrag der Unternehmen zugreift, die die Spiele betreiben, wird hierzulande in den künftig legalen Online-Casinos jeder Einsatz eines Spielers besteuert - auch wenn er seinen Gewinn wieder einsetzt. Das heißt: Setzt ein Zocker beispielsweise 100 Euro ein, gehen davon 5,3 Prozent - also 5,30 Euro - direkt an die Staatskasse.

Das Problem: Damit wird die bei diesen Spielen branchenübliche Auszahlquote von 96 Prozent unmöglich, wie Mario Hoffmeister, Pressesprecher der Gauselmann-Gruppe, erläutert. "Die Folge ist klar", sagt er. "Die Spieler können dann nur deutlich weniger Geld von ihren Einsätzen als Gewinne zurückbekommen. Unter der Voraussetzung dürfte es schwierig werden, Spieler von illegalen Plattformen mit deutlich höheren Auszahlquoten auf legale zu lenken."

Wie begründet solche Bedenken sind, zeigen erste Erfahrungen, die die Branche während einer in den vergangenen Monaten laufenden Übergangsphase gemacht hat. Schon in dieser Zeit, in der seriöse Anbieter nach den Regeln des neuen Staatsvertrages tätig waren, war Marktkennern zufolge zu beobachten, dass die starken Einschränkungen einen signifikanten Anteil der Spieler offenbar abschreckten und auf den schwarzen Markt trieben. Dort zockten sie dann bei Firmen mit Sitz in abgelegenen Regionen der Welt, die sich an keinerlei Beschränkungen halten. "Erste Marktdaten zeigen, dass bis zu 25 Prozent der Kunden auf den Schwarzmarkt abwandern", sagt eine Sprecherin des Deutschen Online Casinoverbandes (DOCV), der einen Großteil der Branche hierzulande vertritt. "Damit zeigt sich, dass eines der wichtigsten Ziele, die mit dem Staatsvertrag verfolgt wurden, kaum erreicht werden wird, nämlich die illegalen Angebote des Online-Glücksspiels in Deutschland zu bekämpfen."

Damit aber nicht genug: Nicht nur Online-Casinos werden am 1. Juli deutschlandweit legalisiert. Am selben Tag treten vielmehr auch neue Regeln für das stationäre Glücksspiel in Spielhallen in Kraft - und die drohen für viele Betreiber und Unternehmen drastische Folgen zu haben. Betroffen davon sind nicht nur Großunternehmen wie Gauselmann oder Löwen, die jeweils mehrere hundert Spielhallen in ganz Deutschland betreiben, sondern vor allem die zahlreichen kleinen und mittelständischen Familienfirmen, die diese Branche hierzulande prägen.

Groß sind die Befürchtungen der Marktteilnehmer vor allem in Baden-Württemberg, wo die neuen Regeln besonders streng umgesetzt werden. So soll dort ab Juli für staatlich konzessionierte Spielhallen ein Mindestabstand von 500 Metern Luftlinie untereinander sowie zu Kinder- und Jugendeinrichtungen gelten. Nach Angaben des Verbandes Die Deutsche Automatenwirtschaft bedroht das bis zu 80 Prozent der Standorte und etwa 8000 der rund 10.000 Arbeitsplätze, die die Automatenbranche allein in Baden-Württemberg biete. Ein Gutachten, das das Kölner Institut für Handelsforschung (IFH) im Auftrag des Verbandes erstellt hat, beziffert den drohenden Umsatzrückgang für die Branche gegenüber Vor-Corona-Zeiten auf etwa 50 Prozent.

Wer dabei glaubt, Spielhallenbetreiber, die vor diesem Hintergrund ihr gewohntes Geschäft aufgeben müssen, könnten aufgrund der Legalisierung ins Internet ausweichen und kurzerhand ein Online-Casino gründen, irrt wohl. Dieser Weg steht eher größeren Unternehmen mit den erforderlichen Ressourcen offen. Kleine Betriebe dagegen bleiben wohl in der Regel außen vor.

Für einen solchen Schritt sei nicht nur viel technisches Know-how erforderlich, sondern auch erhebliche finanzielle Mittel für Investitionen und Werbung, so Verbandschef Stecker. Das Gros der Branche bestehe jedoch aus kleinen bis mittelgroßen Familienunternehmen - deren Möglichkeiten seien in dieser Hinsicht begrenzt.

cr

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