29.08.2006
Kein Respekt mehr vor Justitia
Stell dir vor, es ist Verhandlung und keiner geht hin. Eberhard Hausch, Richter im Amtsgericht Reutlingen, sitzt um 8.30 Uhr vor fast leeren Rängen. Vier Angeklagte sind ordnungsgemäß geladen, weil ihnen Veranstaltung und Beteiligung an illegalem Glücksspiel vorgeworfen wird. Gekommen ist einer.
Hausch fragt nach dem abwesenden Anwalt, der seine Kanzlei nur drei Häuser weiter hat. Hausch telefoniert und verkündet, der Mann husche jetzt los. Die Wartezeit überbrückt er durch Plaudern mit dem Staatsanwalt. Glücksspiel sei ja eine beliebte Prüfungsfrage, weil das Gesetz für dieses Vergehen das geringste Höchststrafmaß vorsieht - sechs Monate oder 180 Tagessätze. Die Gesichtszüge des anwesenden Angeklagten entspannen sich sichtlich.
Der Anwalt braucht für die drei Häuser 20 Minuten, dann ist er da, abgehetzt und verwuschelt. Zu seinen nicht anwesenden Mandanten habe er leider kaum Kontakt gehabt. Einer - der Wirt der Reutlinger Kneipe, in deren Nebenraum gezockt wurde - habe ihm mitgeteilt, er lebe nun in Griechenland und habe kein Einkommen. »Böse Zungen würden sagen »Für einen Anwalt hat es wohl gerade noch gereicht««, kommentiert Richter Hausch. Ein anderer urlaubt im Kosovo, vom dritten weiß man nichts. Was soll's, Strafbefehle über zweimal 1200 und 600 Euro gegen die drei Nicht-Anwesenden kann Hausch auch so erlassen. Die Beweissituation ist recht eindeutig. Die Polizei hatte die Kneipe einige Zeit überwacht, schließlich zugegriffen und die Männer im Nebenraum mit Karten in der Hand erwischt. Das Spielgeld - 1 300 Euro und 250 US-Dollar - fanden sie unter dem Aschenbecher und zogen es ein.
Dem anwesenden Angeklagten konnten von dem Betrag jedoch nur 39 Euro zugeordnet werden. Außerdem behauptet er, dass er nur mal schauen wollte, was die anderen da so machen. Richter Hausch will wahrscheinlich die verlorene Zeit wieder reinholen und glaubt es einfach mal. Die Akte des Mannes wird geschlossen, das Verfahren eingestellt. Irgendwie müsse man den Respekt des Mannes vor der Justiz in Form von Erscheinen ja auch belohnen. Zumal es für ihn gar nichts zu gewinnen gab: Die 39 Euro hatte der Angeklagte bereits von der Polizei zurück bekommen.
gea.de
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