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Casinonews
Es ist eine für die Schweiz beispiellose Tat: Zehn maskierte Männer stürmen frühmorgens ins Casino Basel und räumen alle Kassen leer. Es fallen Schüsse, doch von den 600 Gästen im Haus wird niemand ernsthaft verletzt. Die Spur der Gangsterbande verliert sich in Frankreich
Sie kamen zu zehnt, und sie blieben nur kurz. Fünf Minuten dauerte der Überfall, der in der Schweizer Kriminalgeschichte ohne Vergleich ist. Die Basler Polizei hat eine Sonderkommission eingesetzt. Von den Tätern fehlt jede Spur.
Sonntagmorgen, 4 Uhr. Das Casino im Nordwesten Basels, wenige Meter von der Grenze zu Frankreich gelegen, ist gut gefüllt. Wenn in Basel am Wochenende die Beizen schliessen, ziehen einige Nachtschwärmer weiter ins Casino, das bis 5 Uhr geöffnet ist. Rund 600 Personen sind an den Spieltischen, Spielautomaten und an den Bartresen.
Zwei Audis und ein Hammer
Um 4 Uhr 11 zweigen zwei silbergraue Audi A6 von der Strasse ab, die am Casino vorbeiführt. Die Zufahrt führt in einem kleinen Tunnel unter dem Casino hindurch. Die beiden wohl gestohlenen Audis mit französischen Kontrollschildern stehen nun direkt vor dem Casino-Eingang; sie fahren nicht weiter zur Tiefgarage. Zehn Männer entsteigen den Autos. Sie tragen alle schwarze Übergewänder und dunkle Sturmhauben.
Ein Mann schwingt einen Vorschlaghammer. Er schlägt auf die Drehtüre und die Glasscheibe rechts neben der Türe ein. Der Mann haut Löcher in die Scheiben – aber sie bersten nicht. Warum die Anstrengung? Das Casino ist ja geöffnet. Die Polizei nimmt an, dass die Täter befürchteten, während des Überfalls könnten die Türen blockiert werden. Sie bleiben aber unverriegelt.
Beim Kollegen mit dem Hammer bleibt ein Mann am Eingang, die anderen acht stürmen ins Casino. Im Erdgeschoss befindet sich der Empfangstisch, an dem die Besucher ihre Ausweise zeigen. Rolltreppen führen von da ins Untergeschoss mit den Spielautomaten und in den ersten Stock, wo die Spieltische aufgestellt sind.
Im Empfangsbereich wird ein Sicherheitsangestellter niedergeschlagen. Er ist nicht bewaffnet, im Unterschied zu den Tätern, die Pistolen und Maschinenpistolen mit sich führen. Die Gruppe teilt sich auf: Vier stürmen die Rolltreppe hinauf zu den Spieltischen, vier die Rolltreppe hinunter zu den Spielautomaten.
«Tous à terre, la tête en bas!», brüllen die Männer. Einige Besucher verstehen kein Französisch und rühren sich nicht. Die anderen legen sich wie befohlen auf den Boden, das Gesicht nach unten, auf den roten Teppich. Bald steht von den Hunderten Besuchern niemand mehr. Wer den Kopf reckt, den traktieren die Täter mit Fusstritten. «La tête en bas!», hallt es durch die beiden Säle. Im Untergeschoss fallen kurz darauf Schüsse.
Einige Zeitungen werden später schreiben, die Maskierten hätten wild um sich geschossen. Das ist falsch. Einschusslöcher werden nur an der Türe gefunden, die zum Tresor führt. Der Versuch, sie zu öffnen, scheitert. Neben der Türe befinden sich vier Casinokassen. Die Angestellten sind durch Türen hinter den Kassen geflohen.
Auch im Obergeschoss sind Kassen. Es gibt keine Glaswände oder Gitterstäbe, die von den Tresen zur Saaldecke führen. Die Männer schwingen sich im Ober- und im Untergeschoss über die Tresen und packen das Geld ein, das sie vorfinden. Die Beute beträgt etwas mehr als 300 000 Franken.
Um einen der Angestellten dazu zu bringen, die Türe zum Tresor zu öffnen, müssten die vier Männer im Untergeschoss eine Geisel nehmen. Viele der achtzig Angestellten, die am frühen Sonntagmorgen im Casino arbeiteten, sind aber durch Türen hinter den Bar- und Kassentresen verschwunden. Und die Täter haben es eilig. Die Polizei ist alarmiert und rückt heran. Einer Frau entreisst einer der Maskierten auf dem Weg zum Ausgang die Handtasche.
Die beiden Männer vor dem Casino haben die zwei Wagen gewendet; sie stehen nun mit dem Heck zur Tür. Die acht Kollegen stürmen aus dem Haus. Bei der Flucht kommt es zu einem Zwischenfall. Eine Frau mittleren Alters, die aus der Tiefgarage fährt, gerät mit ihrem Auto zwischen die Audis. Einer der Täter schlägt mit dem Vorschlaghammer das Seitenfenster ihres Autos ein, zerrt sie aus dem Wagen und streckt sie nieder. Das führerlose Auto rollt in einen Baumstamm, der am Strassenrand vor dem Casino liegt. Die beiden Audis biegen in die Strasse ein, die zum Flughafen führt. Sie liegt bereits auf französischem Territorium, aber es gibt hier anders als auf der parallel verlaufenden Autobahn keine Zollschranke. Die Strasse ist darum auf beiden Seiten eingezäunt. Auf der Höhe der Poliklinik von Saint-Louis ist der Zaun von einem Tor unterbrochen, das die Ambulanz im Notfall öffnen kann. Die Täter haben das Tor vor dem Überfall aufgewuchtet. Sie sind wohl auch zuvor auf diesem Weg zum Casino gefahren. Jetzt stossen sie das Tor wieder auf, verlassen die Strasse zum Flughafen – und bringen vor der Weiterfahrt ein Schloss mit einer dicken Kette an der Abschrankung an. Mögliche Verfolger sollen abgeschüttelt werden. Auf einer Kreuzung bei der Klinik werden die beiden davonbrausenden Audis zum letzten Mal gesehen.
Niemand wehrt sich – zum Glück
Peter Gill von der Staatsanwaltschaft Basel-Stadt bezeichnet die Täter als «brutal, kaltblütig, zielgerichtet, professionell». Als sie vor dem Casino aus ihren Autos stiegen, rannten einige Besucher davon, die sofort merkten, was sich abspielen würde. Die Täter liessen sich dadurch nicht beirren. Der Überfall ist von unzähligen Kameras in und vor dem Casino aufgezeichnet worden. Personen zu identifizieren, die Sturmhauben tragen, ist jedoch kaum möglich. Anfang März überfielen vier maskierte und bewaffnete Männer ein Pokerturnier, das im Hotel Hyatt in Berlin stattfand. Im Vergleich zu den Casino-Räubern von Basel gingen die vier Täter stümperhaft ans Werk. Sie liessen sich einen Grossteil der Beute entreissen – und sind schon alle hinter Gittern.
Der Überfall in Basel ist glimpflich verlaufen, weil sich den zehn Männern niemand entgegenstellte. Michael Favrod, der Geschäftsführer des Casinos, sagt, das Unternehmen sei für solche Fälle versichert. Er prüft nun, ob die Sicherheitsvorkehrungen im Haus zu verschärfen sind. Einige Angestellte haben das Erlebte noch nicht verarbeitet. Ein Mitarbeiter kollabierte an seinem Arbeitsplatz im Casino vier Tage nach dem Überfall und wurde mit einem Schock ins Spital gebracht. Eine Besucherin erzählt, das Schrecklichste seien die Schüsse gewesen. «Ich dachte, die erschiessen Menschen.»
Nicht alle Gäste trugen ein Trauma davon. In Basel-Stadt gilt seit kurzem ein neues Gesetz zum Schutz vor Passivrauchen. Im Casino darf man nicht mehr rauchen – ausser in den Fumoirs. Den grossen Rauchsalon im hinteren Teil des Untergeschosses, der durch eine Glaswand abgetrennt ist, ignorierten die Täter. Einige Besucher waren dort so vom Geflacker der Spielautomaten absorbiert, dass sie vom Überfall nichts mitbekamen. In dieser Nacht war es von Vorteil, Raucher zu sein.